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Kürzlich wurde mir eine Publikation über Videoarbeiten zugeschickt, in der auch ich mit einer Arbeit vertreten bin. Arbeit ist vielleicht das falsche Wort, aber Werk trifft es noch weniger. Herausgegeben wurde das Buch unter anderem von Martin Heller. Man könnte also sagen: ein wichtiges Buch! Meine Arbeit ist auf dem ausklappbaren Buchumschlag abgebildet: 1.89 Quadratzentimeter gross. Im Buch selber wird sie nicht weiter beschrieben. Der Index zum Schluss des Buches birgt meine ausführliche, jedoch nicht ganz aktuelle Biografie auf 10.725 Quadratzentimetern und gibt die technischen Daten zum Film auf 7.84 Quadratzentimetern wieder. Das ganze Buch umfasst 108'240 Quadratzentimeter, verteilt auf 328 Seiten. Meine Bedeutung innerhalb der Schweizer Videokunst kann man folglich exakt beziffern: 0.0189 Prozent. Oder anders ausgedrückt: Kein Weg führt an mir und meiner Kunst vorbei. Ecce artifex! Ich hasse übrigens das Brummen meiner Stereoanlage, welches sie von sich gibt, wenn gerade keine Musik aus den Boxen quillt. Hängt noch der Drucker an derselben Steckleiste, dann wähnt man sich in einer Trafostation oder in sonstiger krebserregender Umgebung. Das ist Elektrosmog erfahrbar gemacht für Dummies. Ich nerve mich tierisch ab diesem Summen, bin aber bisweilen doch zu faul, um einfach eine neue CD einzulegen. Ist ja auch immer so eine Sache mit CDs, weil eigentlich hat man sowieso nur selten im IKEA-Benno stehen, worauf man im Moment grad eine Mordslust hätte, es zu hören. Jetzt hätte ich nämlich Lust auf Hip-Hop. Der jedoch nicht so klingt wie alle Hip-Hop-Scheiben, die in meinem Benno rumstehen. Es müsste irgendwie komplett anders stampfen und vibrieren. Oder einfach mal wieder guten Pop, der so süffig daher kommt wie dieser Amarone, den wir an meinem Geburtstag hatten. Pop, der sich deliziös in der Magengegend ausbreitet, wie ein Stück Brombeerquarktorte. Doch ich habe lediglich Pop im Regal, der nach Gin Tonic schmeckt, jedoch mit Citro angemischt, oder Pop, der überall kleben bleibt wie ein halb zerschmolzenes Carambar. Kürzlich habe ich mir die erste Klassik-CD im iTunes-Store gekauft. Ich kam mir ziemlich pervers vor. Klassik mit 128 Kilobits! Ich Banause, genauso gut könnte ich einen Dacia-Motor in einen Testarossa pflanzen. Gleichzeitig kam ich mir aber auch sehr erwachsen vor. Doch im Moment habe ich keine Lust auf Klassik. Ich werde also noch eine Weile das Brummen erdulden. Gestern las ich von einem zum Tode Verurteilten (also wie Puff Daddy in «Monster’s Ball» – damit wir alle ein Bild vor Augen haben). Sein Gnadengesuch wurde vom Gouverneur abgelehnt und so setzte man ihm gerade die Giftspritze, da sprach er noch rasch seine letzten Worte: «Richten Sie dem Gouverneur aus, er hat soeben meine Stimme verloren!» Das sind vielleicht gelungene letzte Worte, richtig beneidenswert! Es ist nämlich extrem schwierig, man unterschätzt dies bestimmt zu Lebzeiten. Passende Worte zu finden, die der vollumfänglichen Bedeutung dieser Situation gerecht werden. «Eine Runde Freibier für alle!» fände ich zum Beispiel einen ganz tollen Spruch. Der letzte von Haider ist auch ganz gut: «Jawoll, der Jörgel überholt euch alle rechts!» Der zum Tode verurteilte Häftling hatte natürlich einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Er konnte seinen letzten Satz ziemlich präzise timen. Denn was, wenn ich eine Runde Freibier ausgebe und dann lebe ich noch zwei Tage? Irgendwie doof. Man kann es natürlich knallhart durchziehen und einfach zwei Tage lang schweigen. Aber irgendwie will man halt immer auch das letzte Wort haben, so muss man sich dann wohl doch was Neues einfallen lassen. Das Freibier zu toppen, wird allerdings eine ziemliche Herausforderung. Die eher esoterisch Veranlagten könnten natürlich auch sagen: «Je ne regrette rien!» Allenfalls müsste man das der Korrektheit halber noch einschränken und sagen: «Ich bereue nichts – ab dem Jahr 2000-soundsoviel.» Oder wenigstens: «Ich bereue nichts im Zeitraum von 2000-soundsoviel bis 2000-soundsoviel.» Leben ja längst nicht alle wie die Engel. Dürfen Häftlinge eigentlich auch wählen und abstimmen? Wäre ja noch wichtig, gerade im Hinblick auf die Ausweitung der Personenfreizügigkeit. Weil ich als Häftling hätte also grad gar keinen Bock darauf, dass mir irgendwelche Rumänen oder Bulgaren den Platz am Ping-Pong-Tisch streitig machen! Es wird einem ja sonst nichts gegönnt im Knast.

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